Lukas Eickhoff: Herr Ziem, können sie sich kurz selbst vorstellen?
Michael Ziem: Also ich bin Erfinder und der Konstrukteur dieses Stuhls, dieses “mitnehmers”, so heißt dieser Stuhl, und habe inzwischen einen kleinen Laden im ehemaligen Karstadt-Kaufhaus in Mainz. Dort ist jetzt ein Pop-Up Store, da sind kleine selbstständige Startups, die Ladenflächen mieten und dann ihre Waren anbieten.
Eickhoff: Was war ihre Inspiration für den “mitnehmer”?
Ziem: Ich gehe gerne im Sommer zu Open-Air-Konzerten und da fehlte mir der passende Stuhl. Bei diesen typischen Campingstühlen hat mich gestört, also bei diesen alten Alustühlen, dass die zwar mit dem Stoff eine schöne, angenehme Sitzfläche haben, aber bei längerem Sitzen stört einfach dieses Alu Rohr, das dann unter den Oberschenkeln durchläuft und dann habe ich überlegt: Wie kann ich das aus Holz besser machen? Ich bin einfach Holz-Fan und habe mir noch ein paar Eckwerte überlegt, dass der Stuhl eine normale Esstischstuhlhöhe haben sollte, dass er sowohl unterwegs als auch zu Hause an jeden Tisch passt, man hat den Stuhl ja normalerweise in so einem kleinen Rucksack griffbereit im Schrank stehen und damit jederzeit noch einen Gästestuhl. Unterwegs gibt es diese Bierzeltgarnituren, da sind die Bänke meistens belegt, aber die Kopfenden sind immer frei und da kann man sich dann mit seinem eigenen Stuhl hinsetzen und essen, trinken und so weiter.
Eickhoff: Also die Vorteile sind Flexibilität und Bequemlichkeit ?
Ziem: Ja genau, das war mir beides gleich wichtig, also die Mitnehmbarkeit, dass es ganz schlank im Rucksack steckt, die Bequemlichkeit und eben, dass man sich an jeden Tisch dazusetzen kann.
Johanna Wolff: Hat "dermitnehmer” auch irgendwelche Nachteile?
Ziem: Also ich selber finde keine Nachteile, in diesem Laden kommt aber ein kompletter Querschnitt der Bevölkerung vorbei und manche sagen, ihnen ist die Sitzfläche zu schmal.
Wolff: Wie haben sie den “mitnehmer” finanziert, sie hatten ja auch mehrere Prototypen gestaltet?
Ziem: Also die Entwicklung hat insgesamt erst einmal vier Jahre gedauert und so nach und nach habe ich aus meinem eigenen Geld einfach immer wieder neu investiert, immer wieder neues Material gekauft, gefräst und geguckt, ob es funktioniert, die Zeichnung geändert und neu gefräst, bis es irgendwann dann komplett gepasst hat. Das ist komplett aus eigenen Mitteln finanziert.
Wolff: Inwiefern ist dieser Stuhl nachhaltig?
Ziem: Nachhaltig insofern, dass er aus Holz ist und zum zweiten, weil man jederzeit jedes einzelne Element austauschen kann und auch nachkaufen kann. Also wenn jemand sagt: die Sitzfläche gefällt mir nicht mehr, dann kauft er einfach einen anderen Sitz. Das ist mir einfach wichtig, dass man nicht den ganzen Stuhl wegschmeißen muss, weil ein Teil nicht mehr funktioniert oder nicht mehr schön ist. Das wäre unsinnig, deshalb sollte man das so machen können.
Wolff: Waren sie schon immer handwerklich oder anders künstlerisch tätig?
Ziem: Künstlerisch ja eigentlich immer irgendwie. Ich bin gelernter Einzelhandelskaufmann und habe ursprünglich Musikalienhändler gelernt, also es ging um Musik und Noten. Ich behaupte aber mal, dass, wenn jemand kreativ ist, dann ist er oft in mehreren Bereichen kreativ, also bei handwerklichem Gestalten oder in der Musik. Ich habe mich sehr lange in das Thema eingearbeitet, also mit Zeichnung, CAD-Zeichnung, mich mit dieser CNC-Fräse beschäftigt und deshalb kann ich damit jetzt ganz gut umgehen.
Wolff : Haben Sie noch andere Produkte oder Projekte?
Ziem: Ja, es gibt jetzt noch ein Regalsystem, was eben auch die gleiche DNA hat, also auch nur gestecktes und das sehr flexibel. Die Elemente kann man frei auf Boards positionieren, das ist mir ganz wichtig, sodass jeder sein eigenes individuelles Regal zusammenstellen kann. Ich suche jetzt gerade nach einer Werkstatt, um noch mehr neue Dinge machen zu können, zum Beispiel einen Esstisch, der auch nur gesteckt wird. Bis auf weiteres werde ich mich intensiv mit diesem System des Zusammensteckens beschäftigen.
Reinhard Tiemann: Wie macht man die urheberrechtliche Sache? Wie lange dauert so etwas und ist es ein Patent?
Ziem: Das ist eine schwierige Sache. Ich hätte gerne ein Patent gehabt, um zu sagen, die Idee ist ja, wie etwas zusammengesteckt wird. Konkret bei diesem Stuhl: Wenn man will die Grundidee, warum es so perfekt funktioniert, ist quasi der Bereich, an dem die Rückenlehne reingesteckt wird, die sich dann einhakt und durch den Sitz gestützt wird. Das ist leider nicht mit einem Patent zu schützen, ein Patent kann nur für technische, physikalische oder chemische Zusammenhänge erteilt werden. Was aber machbar ist, ist ein so genannter Musterschutz oder Designschutz, so heißt es in Deutschland. Der Unterschied zum Patent ist, dass der Designschutz nicht automatisch schützt, sondern wenn jemand einen Stuhl auf den Markt bringt, der genau so oder so ähnlich aussieht, und ich erfahre davon, muss ich die Person verklagen und ein Richter entscheidet, ob es bei mir abgekupfert ist oder ob die Veränderung so stark ist, dass es ein eigenständiger Entwurf ist. Ich habe noch keine Erfahrungen damit gemacht und möchte auch keine machen, aber ich stelle es mir schwierig vor, dass Juristen, die von der Gestaltung nicht besonders viel Erfahrung haben, entscheiden müssen, ob das jetzt eine geklaute Idee ist oder nicht, aber so ist die Rechtssituation. So ein Designschutz kostet 60€ für fünf Jahre und man kann bis zu zehn Produkte sichern. Für diesen Stuhl habe ich jetzt alle Einzelteile gesichert und nochmal den Stuhl insgesamt. Bei diesem Designschutz zählt alleine die optische Wirkung, die Gestaltung wie man so schön sagt. Es ist dann auch egal, ob das aus Holz oder Kunststoff oder Metall gemacht würde, es geht einfach nur um die Form.
Tiemann: Wie lange hat das denn gedauert mit dem Designschutz?
Ziem: Man macht das schriftlich beim deutschen Patent- und Markenamt in München, das hat ungefähr ein halbes Jahr gedauert. Es gilt für fünf Jahre und man kann es noch einmal verlängern, bis es ausläuft.
Tiemann: Also diese Form dürfte jemand klauen und anders gestalten, die technische Lösung ist nicht geschützt?
Ziem: Nein, es sei denn ein Richter sagt, dass das ein Gestaltungsmerkmal ist, dass so in der Form zu ähnlich ist, dann ist das so in der Form geschützt. Wenn diese Form statt wie eine Nase auszusehen ein langesEntwickler sitzt bequem, schmales Teil wäre, dann könnte es sein, dass es dann nicht mehr geschützt ist.
Tiemann: Warum gehen Sie an so eine Schule?
Ziem: Ja, das war ein glücklicher Zufall. Herr Tiemann hat mich gesehen an diesem Stand, war ganz begeistert von diesem Stuhl und hat dann gefragt, ob ich mir vorstellen könnte in einer solchen Runde den Stuhl vorzustellen, aber auch unterstützend zu sein, denn wenn man Möbel gestaltet, gibt es immer drei verschiedene Ebenen: Es gibt die Tischebene, die Seitenebene und dann die Rückwandebene. Flächen müssen bei jedem Entwurf von Möbeln gesichert sein, damit das nicht zusammenbricht und sich nicht verbiegt. Deshalb habe ich das sehr gerne genutzt und versuche mein Wissen hier weiterzugeben.
Tiemann: Also Sie bereuen es nicht, hierher gekommen zu sein?
Ziem: Nein, ich fand es wunderbar, weil ich selber immer wieder angeregt werde, mich mit einem ganz konkreten Produkt zu beschäftigen und zu überlegen, wie man dieses ganz andere Produkt jetzt sicher und stabil machen kann.
Interview: Johanna Wolff, Lukas Eickhoff