03. Mai 2024
Redner des goldenen Abiturientenjahrgangs sendet Botschaft aufgeklärter Humanität
Es wurde voll in der Aula des Rudi-Stephan-Gymnasiums am 27. April 2024; so viele Ehemalige hatten sich in diesem Jahr zu der alljährlichen Veranstaltung angemeldet, dass die Hausmeister angewiesen waren, alle zur Verfügung stehenden Stühle zu stellen, damit auch ja niemand stehen müsse. Und daran taten sie gut: Rund 300 Alumni, von den Zehnjährigen aus dem Jahrgang 2014 bis hin zum 60-jährigen Abitur des Jahrgangs 1964, versammelten sich bei Laugenbrezel und Wein, um mit den alten Weggefährtinnen und -gefährten die Zeiten der Oberstufe und des Abiturs hochleben zu lassen und – im Falle der „jungen“ Jahrgänge – auch auf den ein oder die andere „Paukerin“ zu treffen.
Doch bevor das launige Treffen vor der Mensa des Rudi bei schönstem Wetter stattfand, begrüßte Schulleiter Dr. Markus Wallenborn die geladenen Gäste zu diesem besonderen, nämlich seinem Ehemaligentreffen: Höchstselbst hatte der Rektor vor 30 Jahren an alter Stelle sein Abitur gebaut, wodurch die Rückmeldung nach der Begrüßung durch den 94er-Jahrgang freilich noch aufgekratzter ausfiel als bei den anderen Jahrgängen.
Es folgte, auch dies wie jedes Jahr, eine Zeremonie, bei der die Rede des goldenen 50er-Jahrgangs gerahmt wurde von musikalischen Einlagen Angehöriger des altsprachlichen Gymnasiums: Frederic Busch spielte ergreifend die „Sicilienne“ von Maria-Theresia von Paradis auf der Geige und Florian Jung eine selbst für Klavier arrangierte Version von Elton Johns „Good bye yellow brick road“. Nicht zuletzt sang der Ehemaligenchor den Rudi-Chor-Klassiker „Tourdion“ und die Europahymne bzw. die „Ode an die Freude“ – auf Deutsch und Lateinisch. Geleitet wurde der vor wenigen Jahren zum festen Bestandteil der Treffen gehörende Chor ebenfalls von einem „Dreißiger“: Daniel Wolf, der gemeinsam mit seinem heutigen Rektor die Schulbank drückte. Geprobt werden die Stücke noch am Morgen des Treffens selbst von all jenen, die früher einmal am RSG die Stimmbänder im Chor schwingen ließen und früh genug aus den Federn kommen, um beim Üben trotz teilweise langer Anreise von weit her dabei zu sein.
Der Rahmen war damit bereitet und im Kern lieferte Redner Christof Ernst, Abiturjahrgang 1974, eine nostalgische Reise zurück in Zeiten des Gymnasiums, als noch nicht jeder Studienrat verstanden hatte, welch’ Glück es bedeutet, in einer lebendigen Demokratie zu leben und zu lehren. Die Zuhörer lauschten gebannt von der Berlinfahrt durch die DDR 1972 und einem Besuch in Ost-Berlin, die den Rhetor damals innerlich frösteln ließ angesichts der Kälte, die den Wormsern von den Menschen im Arbeiter- und Bauernstaat entgegenschlug. Und die Chuzpe, zum Abitur damals eine Totenkopfflagge ans Dach des alten Gebäudes am Rhein zu hängen, um gegen das miefige Establishment zu protestieren, das einen Teil des Kollegiums damals noch prägte, musste man erstmal haben. Dass niemand aus der Stufe ausgeplaudert hat, wer die „Übeltäter“ waren, darauf ist Ernst noch heute stolz.
Aber lieber blickte der Redner und Ehemalige auf die Pädagogen, die für ihre Schüler ihren Kopf hingehalten haben, so wie Ernsts leider kürzlich verstorbener Geschichtslehrer Ulrich Jung, der sich für seinen Einsatz, am Tag des Misstrauensvotums gegen Willy Brandt exakt am 27. April 1972, auf den Tag genau vor 52 Jahren, einen Fernseher in den Klassensaal zu stellen, damit man Geschichte hautnah erfahren konnte, einen scharfen Verweis der damaligen Schulleitung einhandelte. Ernsts Fazit: „Es hat sich zum Glück vieles verändert in den vergangenen 50 Jahren. Der unselige Geist und der Mief, der noch zum Teil über unserer Schulzeit hing, den gibt es nicht mehr.“
Und so schloss Christof Ernst, der sein Abitur 1974 augenscheinlich an einer Gelenkstelle des Gymnasiums im 20. Jahrhundert erwarb – das Neue war zwar schon da, das Alte aber noch immer präsent – mit eindringlichen Mahnungen an die versammelte Gemeinde der Ehemaligen: „Wir leben in diesem Land seit bald 80 Jahren in Frieden und Freiheit, ohne Krieg, ohne Folter, ohne Unterdrückung. Wir sind frei in Gedanken, Worten und Werken. Das ist nicht unser Verdienst allein. Denn wir leben in einer Glückssekunde der Geschichte. Damit die noch länger anhält, damit das auch unsere Enkelinnen und Enkel erleben können, müssen wir stark und wehrhaft sein gegen die, die das bedrohen: Gegen die Vereinfacher, gegen die Gleichmacher und gegen die Profiteure der Uninformiertheit. Nie wieder ist jetzt. Non scholae sed vitae discimus.“
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